Svenja Wiese: Das Menschenbild Schillers in den `Briefen über die ästhetische Erziehung des Menschen`
-Auszug -
Einleitung
Die vorliegende Arbeit behandelt die Darstellung des Schillerschen Menschenbildes in seinen Briefen Über die ästhetische Erziehung des Menschen. Schiller erweitert hier in 27 Briefen seine Theorie der Kunst um den staatsphilosophischen Gedanken des Vernunftstaates, bei dessen Organisation die Kunst eine entscheidende Rolle spielt. Die Lokalisierung der Kunst und ihrer gesellschaftspolitische Funktion in der Gesellschaft der Zukunft fußt auf Schillers Forderung, durch die Veranschaulichung des idealen Menschseins eine Verbesserung der bestehenden Zustände zu schaffen.
„Ist es denn nicht ausser der Zeit, sich um die Bedürfniße der a e s t h e t i s c h e n Welt zu bekümmern, wo die Angelegenheiten der p o l i t i s c h e n ein so viel näheres Interesse darbieten ?“, fragt Schiller seinen Adressaten in dem Augustenburger - Brief vom 13.Juli 1793 und macht damit gleichzeitig auf das zentrale Problem der späteren Briefe Über die ästhetische Erziehung des Menschen aufmerksam. Ursprünglich wollte Schiller dem Prinzen von Augustenburg seine „Untersuchungen über das S c h ö n e“nach Kantischer Tradition vortragen, doch die politischen und gesellschaftlichen Ereignisse dieser Zeit ließen daraus eine politische Ästhetik werden. Die Briefe Über die ästhetische Erziehung des Menschen bilden Schillers größte Abhandlung über die Ästhetik und erschienen zuerst im Jahre 1795 in Schillers Zeitschrift die Horen. Sein Anliegen verfolgt den Anspruch einer Darlegung darüber, warum der ästhetischen Bildung aufgrund des welthistorischen Geschehens eine größere Wichtigkeit zugesprochen werden muss, als eine politische Erziehung, „weil es die Schönheit ist, durch welche man zu der Freyheit wandert“
Schillers Ästhetik tritt hierbei an die Stelle einer 'prima philosophia' und befragt somit das Seiende qua Seiendes. Grundlegendes Thema dieser Philosophie ist das Sein als Einheit zwischen der Idee des Guten, der Wahrheit und der Schönheit. Der Mensch in seiner Endlichkeit und Zeitlichkeit bildet dabei jenen grundlegenden Anfang, auf welchen Schiller seine Konzeption dieser Einheit verlegt. Schiller erfragt hier die Bedingungen des menschlichen Seins mittels des von Kant methodisch vorbereiteten „transzendentalen Weges“, auf welchem dieser die Möglichkeiten der menschlichen Erkenntnis untersucht und damit die Grenzen der menschlichen Erkenntnis aufzeigt. Die Schillersche Ästhetik-Konzeption benennt die Schönheit in ihrer Wahrheit als Bedingung für das Gutsein, oder anderes formuliert, das Ganzsein des Menschen. In ihr wird dem Menschen sein verborgenes Wesen transparent gemacht. Im Gegensatz zum Gedankengang Kants und Hegels, in welchem die Schönheit als ein Begriff auftaucht, der zur Erhaltung der Einheit endlichen Geistes nicht zwingend berücksichtigt werden muss und auch bei der Entfaltung des absoluten Geistes in seiner Einheit aufzuheben ist, beschreibt Schillers Konzeption einen Begriff der Schönheit, welcher in wechselseitiger Erschließung und rigoroser Vereinigung mit der Menschheit zu Tage tritt. Die Debatte um den Schönheitsbegriff bildet somit für Schillers metaphysischen Ansatz das zentrale Problem, weshalb die von ihm entworfene erste Philosophie als ästhetischer Humanismus zu verstehen ist.
Innerhalb seines Gedankenganges entwickelt er die Ästhetik als eine eigene Fasson, in welcher sich die Metaphysik zur Transzendentalphilosophie verkomplettiert. Jene Einheit, die im metaphysischen Denken thematisiert wird, stellt Schiller in Bezug auf die problematische Einheit des Menschen in Frage und versucht diese schließlich auf dem transzendentalen Wege zu erkunden. Eine Kultivierung des idealen Menschenbildes ist für Schiller vor allen Dingen darum von entscheidender Wichtigkeit, da er gerade für seine Gegenwart ein äußerst problematisches Verhältnis zum Menschsein diagnostiziert. Das Scheitern der Französischen Revolution ist seiner Ansicht nach in erster Linie auf das mangelnde Bewusstsein zur Freiheit, das Fehlen der moralischen Möglichkeit und auch auf die morbiden Gesellschaftsstrukturen zurückzuführen. Die „niederen Klassen“ werden hierbei jedoch von Schiller aus einem anderen Blickwinkel kritisiert als die „zivilisierten Klassen“, bei welchen er vor allem ein Versagen in Bezug auf die Aufklärung ermittelt. Seiner Überzeugung nach kann die rationale Aufklärung nicht alleine die Entwicklung zur Humanität sichern, denn eine politische Veränderung kann erst dann stattfinden, wenn der Mensch die Harmonie in sich selbst wiedergefunden hat. Gemäß der Schillerschen Konzeption soll das Spiel mit der Schönheit den Menschen in diese Harmonie mit sich selbst setzen, was bedeutet, dass er darin eine Humanisierung der gesamten Lebenspraxis und die Ermöglichung eines menschenwürdigen Menschseins in der Lebenswirklichkeit anstrebt: „Denn, um es endlich einmal herauszusagen, der Mensch spielt nur, wo er in voller Bedeutung des Wortes Mensch ist, und er ist nur da ganz Mensch, wo er spielt“, heißt Schillers wohl berühmtester und zugleich allerdings auch undurchsichtigster Satz, der im 15. Brief seiner Schrift Über die ästhetische Erziehung des Menschen zu finden ist.
Meine Interpretation der ästhetischen Briefe möchte im Folgenden den Schillerschen Argumentationsstil konstatieren, die Entfaltung seiner Gedanken vorstellen und schließlich eine Basis schaffen, auf welcher die Probleme dieser Ästhetik diskutiert werden können. Das Ziel meiner Arbeit bildet die Veranschaulichung der Schillerschen Idee der Schönheit, welche der Gegenstand des Spiels ist, als eine Notwendigkeit des menschlichen Seins aufzuweisen, indem schließlich Schönheit und Kunst diejenige Eintracht bilden, durch welche die Entzweiung des menschlichen Bewusstseins aufgehoben wird und in einem Zustand der Harmonie verweilt. Mein Vorgehen wird dabei zunächst einen Überblick über den ästhetischen Humanismus und eine skizzenhafte Darstellung der Theorien Kants und Fichtes in Bezug auf deren wegbahnende Funktion für den Schillerschen Gedankengang aufzeigen. Danach werde ich kurz auf die Voraussetzungen und Entstehungsgeschichte der Briefe über die ästhetische Erziehung des Menschen eingehen und schließlich Schillers Staatsphilosophie eine nähere Beachtung schenken. In der Folge werden dann die Bedingungen des Menschseins aufgedeckt, indem die Entzweiung der menschlich- endlichen Subjektivität in den Begriffen „Person“ und „Zustand“ sowie die Divergenz von Stoff- und Formtrieb ausgearbeitet wird. Daran anschließend werde ich die Einheit des Menschseins in der Idee der Wechselwirkung zwischen Stoff- und Formtrieb analysieren und schließlich herausstellen, dass durch die menschenmögliche Synthese von Freiheit und Schönheit im Kunstwerk dem einzelnen Menschen sein eigenes Potential anschaulich und erzieherisch vermittelt wird. Meine Untersuchung des Schillerschen Menschenbildes gliedert sich in die drei Bereiche: Das gegenwärtige Bild des Menschen, die Idee vom 'ganzheitlichen' Menschen und der 'ganzheitliche' Mensch in der Gegenwart.